10 Im Brennpunkt dünn geraten ist, weil es nicht viel zu erzählen gibt. Nicht weniger offenherzig nennt er sein Motiv. Nicht weil die Welt eine neue Shakespeare-Biographie gebraucht hätte, habe er sie geschrieben, sondern weil derVerlag HarperCol- lins in seiner Reihe «Eminent Lives» mit Kurzbiographien Mohammeds, Alexanders des Großen usw. auch Shakespeare zu sehen wünschte. Interessanter als die Biographie selbst waren Brysons sehr verheißungs- voll klingende Vorankündigungen im Web. Er wolle herausfinden, was Shakespeare bewegt habe («what made him tick») und dem Renaissance- Shakespeare Konturen verleihen, denn, so Bryson, mehr Renaissance als in Shakespeare könne man nirgendwo finden. Gar nichts ist daraus geworden. Von Renaissance ist in dem Buch nur einmal die Rede, in Form eines allge- meinen Zitats einer anderen Autorin über den Charakter der Freundschaft in der Renaissance. Und was «made him tick»? Noch weniger erfahren wir darüber. Oder sollte es vielleicht der quantenmechanische Spin oder Drall gewesen sein? Bryson: «Im Übrigen ist er (Shakespeare) so was wie das lite- rarische Äquivalent eines Elektrons – für immer da und nicht da.» (S. 9) Als 1994 Walter Kliers Buch Das Shakespeare-Komplott erschien, wurde es von Andreas Höfele besprochen (FAZ vom 22. Februar 1994). Ein Prob- lem vermochte er auch damals nicht zu sichten. Er war gelassen wie eh und je und ortete das Problem darin, dass Zweifler sich einfach nicht vorstellen könnten, wie ein literarischer Riese gleichzeitig ein «Krämer» sein könnte. Noch einmal: ohne einen elegischen Nebenton hatte sich auch Samuel Schoenbaum nicht dazu zu äußern vermocht. Aber wenn wir so wenig über Shakespeares Leben wissen, wie wusste Höfele, dass er ein Krämer war? Die Antwort ist wiederum simpel: Aus der Banalität des dokumentierten Le- bens, des in dieser Hinsicht gut dokumentierten Lebens. Formeln wie «Wir wissen so gut wie nichts», «Romantiker können nicht verstehen, dass ein literarischer Riese ein Krämer sein kann», «Wir wissen viel, aber wir wollen heißhungrig noch mehr wissen», sind die Pferde, die dem orthodoxen Karren vorgespannt werden. Nicht verwunderlich denn, dass Professor Tobias Döring, derzeit DSG-Präsident, in der FAZ vom 12. November 2011 das «Krämer-Thema» variierte in einem Beitrag, den man alsVorspann auf Roland Emmerichs Film «Anonymus» begreifen muss. Der Titel: «Die Banalität des Barden». Es sei ein weiteres Mal wiederholt: Die Rede ist von der Banalität des dokumentierten Lebens, die noch bei Schoen- baum Resignation aufkeimen ließ.