Thema 48 für dieses Zeitalter ist, zumal uns dessen Bedeutung heute am wenigsten einleuchten dürfte. Am einfachsten zu verstehen sind die reformatorischen Bemühungen Heinrichs VIII., und zwar aus dem paradoxen Grund, dass sie von keinerlei reformatorischen Motiven inspiriert waren. Die deutschen Protestanten, die für den Schmalkaldischen Bund der reformierten deutschen Fürsten gegen Karl V. mit den Abgesandten Heinrichs über eine Annäherung der engli- schen Reformation an den Lutheranismus verhandelten, zogen das richtige Fazit, als sie befanden: «Harry wünscht bloß, alsAntichrist in Gottes Tempel zu sitzen und dass Harry Papst sein soll. Die großen Schätze, die riesigen Einnahmen, das ist nach Harrys Ansicht das Evangelium».35 Mit den Protes- tanten verhandelte er, weil er um diese Zeit ein Bündnis zwischen Kaiser Karl V. und dem französischen König Franz I. befürchtete. Aus diesem Grund heiratete er auch Anna von Kleve, Schwester des protestantischen Herzogs Wilhelm des Reichen, der zudem für eine hohe Mitgift sorgte. Die Ehe wurde jedoch nach einem halben Jahr aufgelöst. Die Ausnahme bestä- tigt auch hier die Regel: Heinrich verzichtete auf einen Teil der Mitgift, der Kasse, während seine angeblichen Reformationen entweder sexuelle oder außenpolitische, vor allem jedoch finanzielle Gründe hatten. Aus religiösem Gesichtspunkt hat er die Mehrzahl seiner Reformationen im letzten Jahr- zehnt seiner Regierung rückgängig gemacht, zumindest sofern sie nicht seine Kassen füllten. Was für die Regierungszeit Heinrichs VIII. gilt, gilt auch hier für die sei- nes Nachfolgers Edward VI. (1547 –1553): die religiöse Reformation wird, wie übrigens in Frankreich ebenso, durchkreuzt von politischen Machtkal- külen. Das Beispiel John Dudleys, hintereinander Vicomte de Lisle, Earl of Warwick und schließlich Duke of Northumberland, zeigt dies vermutlich am nachhaltigsten. Als sein Staatsstreich gegen die katholische Mary scheiterte, bekehrte er sich, vergeblich auf Begnadigung hoffend, im allerletztenAugen- blick zum Katholizismus. Dass die unter Edward VI., d. h. unter den Lord Protectors, dem Herzog von Somerset und anschließend dem Herzog von Northumberland, durchge- führten Reformen eingreifender waren als die Heinrichs VIII., kann nicht 35 Haigh, 135.