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Spektrum Shake-speare

Hintergrund 150 erscheinung anerkennen. Aber wer oder was redet? Es ist zugleich ein Toter, da der Vater gestorben ist, und ein Untoter, da der Vater offenbar noch redet. In der Geistererscheinung sind Tod und Untod gleichzeitig zugegen. Freilich kommt hier noch eine intratheatralische Ironie hinzu: In der Theaterwirklichkeit hat der Geist ein höchst reales Da-Sein, da er von einem Schauspieler mit Hilfe einer aufwendigen Bühnentechnik verkörpert wird. Der Geist-Darsteller und der Hamlet-Darsteller müs- sen in der Geisterszene geradezu gegen die Materialität der Bühnen- wirklichkeit anspielen. 2. Der Geist verkörpert quasi die Behauptung, dass es Sein und Nicht-Sein zugleich geben kann. Die Entweder-oder-Frage, die Hamlet später selbst stellen wird, wird hier als Sowohl-als-auch-Realität präsentiert. Hamlet sieht sich mit dem Dilemma konfrontiert, den Worten Glauben schenken zu wollen, da sie die Worte seines verstorbenen Vaters zu sein scheinen, und zugleich den Worten misstrauen zu müssen, da es die Worte eines Gespenstes sind, dessen Existenz seinem aufgeklärten Den- ken widerspricht. Beide Varianten haben ähnlich unerwünschte Konse- quenzen. Der Geist existiert außerhalb von Hamlets Bewusstsein, denn er wird auch von anderen wahrgenommen. Hamlets Aufgabe ist es nun, Differenzen herstellen, wo die Gegensätze scheinbar aufgehoben sind. Wenn er bereit ist, ein Glaubensmoment zu investieren und den Anwei- sungen des Geistes zu folgen, dann muss er die klare Unterscheidung zwischen Diesseits und Jenseits, Tod und Leben, Sein und Nicht-Sein aufgeben und gleichsam Paradoxiker werden.2 Oder er hält an diesen Unterscheidungen fest, was für ihn als Philosophiestudent wohl näher- liegend wäre, um sich stattdessen Gewissensbisse einzuhandeln, die Di- rektiven seines Vaters nicht befolgt zu haben. 3. Doch welchen ontologischen Status hat dann der Tod im Vergleich zum 2 Hier trifft zu, was Wolfgang Riehle als »paradoxe Gleichzeitigkeit des Konträ- ren» bezeichnet hat (S. 347). Im Zusammenhang mit Shakespeare, allerdings nicht mit Hamlet, hat Riehle darauf hingewiesen, wie sich Shakespeare »auf Paradoxien konzentriert, die aus dem Schein-Sein-Gegensatz resultieren» (S. 335). Vgl. Wolfgang Riehle, Zum Paradoxon bei Shakespeare, in: Paul Geyer und Roland Hagenbüchle (Hrsg.), Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens, Tübingen 1992, S. 335–353.

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