Streiflichter 78 Eine Anlegestelle (a road) in Verona an der Etsch. «Fort, fort!», ruft der Diener des einen Herrn dem Diener des andern Herrn zu. «Fort, fort, Lanz, an Bord; dein Herr ist eingeschifft, und du mußt hinterher rudern … Du versäumst die Tid, wenn du länger zögerst.» Ausgelöst durch die Zweideutigkeit des Wörtchens «tide», zu verstehen auch als «tied», gerät derWortwechsel zwischen Lanz und Panthino zu einem Schlagabtausch der Missverständnisse. Leider entgeht dem Übersetzer der Witz der Sache, weil er «tide» eindeu- tig als «Flut» versteht – und die zweite Bedeutung des Begriffs unterschlägt. Denn «tide» heißt auch: Zeit – bzw. der geeignete Augenblick. (Analog dazu kennt das Niederdeutsche: Tid = Zeit, Tide = Flut.) Der dumme Lanz missversteht Panthinos «tide» auf den ersten Anhieb als «tied» (daraus ergibt sich die Hundeepisode), worauf Panthino das krumme Wörtchen «tide» (zugleich eine Anspielung auf George Wapulls Moraltraktat von 1576 The Tide tarrieth for no Man: «Die Flut/Zeit verschont niemanden») als «flood» präzisiert: die Fülle des Wassers. Der Schiffsbetrieb auf der Etsch war saisonal eingeschränkt nach der Menge des aus den Bergen abgeführten Wassers. Doch da das Ganze dem Übersetzer über die Hut- schnur geht, projiziert er sein Un- verstehen auf den einfältigenAutor. «Ja, Mann», sagt Lanz, «wenn der Fluß ausgetrocknet wäre, wär ich imstand, ihn mit meinen Tränen zu füllen; wenn derWind sich gelegt hätte, könnte ich das Boot mit mei- nen Seufzern treiben.» (Übs. Doro- thea Tieck) Zum Nachholbedarf sei Frank Günther (und jeder interessierte Leser) verwiesen auf die ebenso spannende wie lehrreiche Lektüre Richard Paul Roe: The Shakespeare Guide to Italy Retracing the Bard’s Unknown Travels, 312 Seiten. Harper Perennial, NewYork, 2011