Hintergrund 156 auf der Hypothese, dass ein deutliches Zeichen – wie immer es auch aussehen mag – alsAusdruck seines schlechten Gewissens und damit als Selbstverrat überhaupt gewertet werden darf. Die »Mausefalle» soll demnach etwas Inneres (das schlechte Gewissen) evident werden lassen. Ihre Beweiskraft hängt von der untrüglichen Evidenz der zu erwarten- den äußeren Zeichen ab. Diese müssen als Zeichen für ein schlechtes Gewissen zudem zu unterscheiden sein von einer bloßen Zuschauerre- aktion auf eine drastische Mordszene als Ausdruck der Betroffenheit oder des Ergriffenseins. Überdies darf sich Claudius unter keinen Um- ständen bewusst sein, dass die ganze Theateraufführung von Hamlet nur deshalb eingerichtet wurde, um ihn als Zuschauer zu beobachten. Der Prinz schaut paradoxerweise im Theater nicht den Schauspielern zu, sondern einem Zuschauer. Er beobachtet nicht, wie er spielt, sondern ob er spielt. Der Schauspieler will gut spielen, Claudius will nicht verraten, dass er den Hofleuten selbst ein Theater vorspielt. Der König ist aus Hamlets Sicht ein Operator für eine Unterscheidungsfunktion zwischen Schein und Sein. 14. Der entscheidende Moment während der Aufführung von The Murder of Gonzago gestaltet sich dann so: Der Schauspieler, der den Claudius- Stellvertreter spielt, träufelt dem schlafenden Gonzago Gift ins Ohr. Daraufhin erhebt sich der Zuschauer Claudius und verlässt empört den Raum. Die Aufführung wird abgebrochen. Hamlet und Horatio sind sich einig, dass diese Reaktion im Sinne des Experiments eindeutig als positives Ergebnis zu werten sei.7 Es sei klar, dass sich Claudius im Stück wie in einem Spiegel selbst erkannt habe. Folglich stehe fest, dass er tatsächlich ein Mörder sei. Das paradoxe Ergebnis des Versuchs ist eine Theateraufführung, die offenbar einen wirklichen Betrüger entlarvt hat. Die Vorstellung hat den Nachweis erbracht, dass Claudius sich verstellt, er zeigt ein falsches Gesicht, er trägt sozusagen eine Unschuldsmaske. Als Mörder muss er nun bestraft werden. Hamlet ist jetzt bereit, zur Tat zu schreiten. Nur hat Hamlet nicht bedacht, dass Claudius dabei auch etwas über ihn erfahren hat. Der König weiß nun, dass Hamlet offenbar über den wahren Ablauf der Ereignisse im Bilde ist. Claudius muss ein- 7 Shakespeare, Hamlet, 3.2.246 – 264 (S. 164 f.).