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Spektrum Shake-speare

Schule und Unterricht 121 Brot mit Tränen aß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte» (Goe- the) ist dem unsagbaren Leiden des Hiob nicht gleichzustellen. Des Weiteren weist Waugaman darauf hin, dass die Liebe zu Gott/zum Göttlichen bei Shakespeare säkularisiert als Liebe zum anderen Menschen auftritt. Das ist nun gerade in diesem Sonett nicht der Fall! Die Spannung entsteht nicht wegen der Liebe zu einem anderen, sondern wegen desAusge- stoßenseins aus der Gemeinschaft. Die Gottheit wird nicht durch den Lie- benden ersetzt, sondern tritt als «dritte Partei» in dem menschlichen Drama auf. Außerdem ist das Frohlocken am Schluss gerade hier an den Himmel gerichtet. Die Hymne wird nicht am Eingangstor gesungen, die zum Haus des Geliebten führt. Die entscheidende Zeile 9 wird völlig ignoriert: Die Wende, in der sich das lyrische Ich selber aus der sozialen Isolation herausarbeitet, mit einem Anflug von Selbstironie – undenkbar bei Hiob! In Psalm 63 wird von den Fittichen des Göttlichen gesprochen, unter de- ren Schutz man sich sicher fühlt. Für Waugaman ist das eine Anspielung auf die Lerche, die sich in den Himmel erhebt. In beiden Texten geht es zwar um einen Vogel, aber unter völlig anderen Vorzeichen. Wie kann man da von Anspielung sprechen? Die Worte «I think on thee» sind dermaßen alltäglich, dass sie überhaupt nicht aus Psalm 63 übernommen worden sein müssen. Fazit: Waugamans Parallelen zwischen Sonett und Psalm sind nicht schlüssig. Der verständliche Wunsch, Parallelen zu finden, treibt unerfreuliche Blüten. Die Leichtigkeit, mit der Formulierungen zusammenassoziiert werden, ist belie- big und inhaltsleer. Zudem wird das Gedicht zerpustet, seine Größe geleug- net; der Blick auf das literarische Kunstwerk wird völlig verbaut. Das Anlie- gen der Autorschaftsfrage wird geschwächt, wenn nicht sogar lächerlich ge- macht. Das ist ein harter Vorwurf, aber wie kann man denkenden Menschen so etwas in die Hand geben? Im Übereifer sägt man denAst ab, auf dem man sitzt. Ich habe Waugaman meine Kritikpunkte sehr freundlich mitgeteilt, weil ich meine, dass wir als Oxfordianer redlich miteinander umgehen und auch Kontroversen bearbeiten müssen. Waugamans Antwort war mehr als enttäuschend.

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